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Reichlich Arbeit, getrennte Kirchbänke und Lob der Eisenbahn

21.05.2019

Gütersloher Grundschüler auf einer Zeitreise ins Jahr 1875.

Gütersloher Grundschüler erleben bei der Stadtrallye eine Zeitreise in das Jahr 1875
Ausgestattet mit Zylindern und Häubchen waren Gütersloher Grundschülerinnen und –schüler auch in diesem Jahr wieder unterwegs auf einer historischen Stadtrallye durch die Innenstadt, um Gütersloh im Jahr 1875 zu entdecken. Ob im Alten Amtsgericht, oder im Stadtmuseum, ob in der Musikschule oder in der Martin-Luther-Kirche – an insgesamt acht Stationen erfahren die 25 Schülergruppen von Laienschauspielern, wie das Leben vor 144 Jahren in Gütersloh aussah. Eine willkommene Abwechslung zum Klassenraum: Die Schülerinnen und Schüler beteiligen sich sehr gerne an diesem historischen Abenteuer, das jedes Jahr vom Fachbereich Kultur der Stadt Gütersloh organisiert wird.

Die Zeitreise der Grundschüler beginnt im Alten Amtsgericht der Stadt Gütersloh am Berliner Platz. Gespannt und aufgeregt betreten die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Neißeweg den alten Gerichtssaal. Hier wartet auf die 4a schon die Zauberin, gespielt von Adelheid Eimer, um sie ins Jahr 1875 zu lotsen. Bevor es in der Zeit zurückgeht, überlegen die Mädchen und Jungen zunächst, wie es in Gütersloh im 19. Jahrhundert aussah. Kein Strom und keine Autos, stattdessen fuhren Kutschen mit Pferden durch die Straßen - das war die Realität vor 144 Jahren. Und welche Kleidung haben die Menschen getragen? Statt Turnschuhen waren robuste Holzschuhe angesagt. Und besonders die Kleidung der Frauen und Mädchen unterschied sich von der heutigen. „Bestimmt hatten sie keine zerrissenen Jeans an“, bemerkt eine Schülerin. „Unvorstellbar“, meint die Zauberin. Löcher in der Kleidung wurden direkt geflickt und Hosen waren für Frauen überhaupt nicht üblich, stattdessen trugen die Schülerinnen im Jahr 1875 lange Kleider und eine Schürze. Mit diesem Wissen und der Hilfe durch einen Zauberstab und einen Zauberspiegel geht es für die Grundschüler nun in die Vergangenheit. Mystische Flötenmusik erklingt, als der Zauberspruch gesprochen wird und mit etwas Fantasie sind sie nun zu Kindern aus einer Gütersloher Kaufmannsfamilie im 19. Jahrhundert geworden. Bevor es auf zur Entdeckungstour geht, ist aber die zeitgemäße Kopfbedeckung für die Kinder Pflicht. Und so werden Cappies gegen Zylinder für die Jungen und bunte Häubchen für die Mädchen getauscht.

Nach dem Start im Alten Amtsgericht führt der Weg die Gruppe zur Tanzschule-Stüwe-Weissenberg. Ausnahmsweise ist der Zutritt heute auch für die Mädchen erlaubt, erfahren die Grundschüler. „Für die Gesellschaft Eintracht war den Damen der Zutritt verboten“, klärt der Laienschauspieler die Schülerinnen und Schüler auf. Die Jungen müssen innerhalb des Gebäudes lediglich den Zylinder abnehmen. Bei der heutigen Entscheidung über die Zukunft des Kaufmanns Dickel im Verein Eintracht dürfen aber nun alle 15 Schülerinnen und Schüler ihre Stimme abgeben. Mit zehn positiven Stimmen zu fünf negativen hat der Handelsmann sein strenges Publikum überzeugt und ihr Vertrauen gewonnen. Seine Zukunft innerhalb Güterslohs und als neues Mitglied im Verein haben die Mädchen und Jungen somit gerettet.

Nebenan geht es gleich weiter, in der Musikschule werden die jungen Gäste vom reichen Kaufmann Ferdinand Bartels, seiner Frau Marie und dem Dienstmädchen Anna im Salon ihres herrschaftlichen Hauses empfangen. Bei der Familie Bartels bekommen die Kinder einen Einblick in das Leben einer Unternehmerfamilie, aber auch in den Alltag des Dienstmädchens. Der Hausherr ist in seiner eigenen Seidenweberei in Gütersloh tätig und sei ein viel beschäftigter Mann, erklärt er den Grundschülern. Seine Frau kümmere sich um den Haushalt und die 14 Kinder. „Ich bin mit reichlich Arbeit bestückt, wir empfangen viele Gäste“, klagt Marie. Der große Haushalt bringe viele Aufgaben mit Putzen und Kochen mit sich. Unterstützt wird sie von ihrem Dienstmädchen Anna. „Ich arbeite von früh bis spät“, klagt diese über ihren anstrengenden Alltag. Für ihre Arbeit erhalte sie Essen, Unterkunft und Lohn und werde gut behandelt, berichtet sie und meint: „Anderen Hausmädchen geht es viel schlechter als mir.“ So ein Leben können sich die Mädchen für sich nicht vorstellen, also setzen auch die Jungen ihre Zylinder wieder auf und weiter geht es für die Gruppe zur nächsten Station.

Im Stadtmuseum trifft die Klasse auf einen Reisenden, der zu Besuch in Gütersloh ist. Mit der Eisenbahn hat er die fünfzig kilometerlange Strecke von Hamm nach Gütersloh absolviert. Eineinhalb Stunden habe er gebraucht, berichtet er den Zeitreisenden. Sein Vater sei damals noch in der Kutsche gereist und sei sechs Stunden lang auf der Straße durchgeschüttelt worden. „Da lob ich mir die Eisenbahn“, sagt er erfreut. Neben der Eisenbahn hätten auch viele ortsansässige Unternehmen eine lange Tradition in Gütersloh, berichtet er den Kindern weiter. So wurden 1875 in Gütersloh schon die Märchenbücher von Bertelsmann gedruckt und die schwere Arbeitsschutzkleidung wurde von Niemöller und Abel hergestellt. Und auch hier treffen die Grundschüler wieder auf Herrn Bartels und seine Seidenweberei, die Firma Gebrüder Bartels war 1875 innerhalb der Gütersloher Textilindustrie ein groß ansässiges Unternehmen.

Bevor es für die Grundschüler zurück in das Jahr 2019 geht und sie Zylinder und Häubchen wieder gegen ihre Cappies tauschen, warten noch weitere spannende Stationen auf sie. So lernen sie im Museumscafé das Leben der Mittelschicht kennen -ohne den Luxus von fließendem Wasser-, bekommen in der Altstadtschule einen Einblick in ein historisches Klassenzimmer und den Schulunterricht im 19. Jahrhundert und sitzen in getrennten Bänken für Männer und Frauen bei ihrem Besuch in der Martin-Luther-Kirche. Zum Abschluss geht es in das Stadtarchiv, hier wagen die Zeitreisenden einen Blick in die Zukunft und überlegen, welche Techniken in den kommenden Jahren erfunden werden. Und dann ist es Zeit, wieder in die Gegenwart zu reisen und zu schauen, was sich gegenüber dem Jahr 1875 in Gütersloh alles verändert hat - und das ist eine ganze Menge.