Zum Inhalt (Access key c)Zur Hauptnavigation (Access key h)Zur Unternavigation (Access key u)
 

Damit der „Tänzer der Luft“ nicht unter die Räder kommt

14.04.2022

Umweltbehörden von Stadt Gütersloh und Kreis Gütersloh kooperieren beim Schutz der akut bedrohten Kiebitze mit der Biologischen Station und der Landwirtschaft.

Vom Aussterben bedroht: Die schwarzweiße Zeichnung und die charakteristische Federhaube machen den Kiebitz zu einer auffälligen Erscheinung. Foto: Daphne Seehaus
Vom Aussterben bedroht: Die schwarzweiße Zeichnung und die charakteristische Federhaube machen den Kiebitz zu einer auffälligen Erscheinung. Foto: Daphne Seehaus
Empfindliche Nistplätze: Die Gelege der Kiebitze werden häufig von Raubtieren zerstört. Foto: B. Walter
 

„Vögel sind Indikatoren für die Lage der Umwelt. Sie weisen auf Probleme hin, die auch dem Menschen bevorstehen“, hat einmal ein kluger Kopf gesagt. Die Vogelwelt muss kräftig Federn lassen. Seit dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren habe es keinen derart dramatischen Artenrückgang mehr gegeben wie in der Vogelwelt, beklagen Wissenschaftler. Nimmt man den Kiebitz als Maßstab, dann dürfte es ziemlich schlecht bestellt sein um die Zukunft der Menschheit: Er ist akut vom Aussterben bedroht. Der Bestand des Kiebitz, seit 2011 auf der Roten Liste NRW als gefährdete Art geführt, ist in den vergangenen 20 Jahren um etwa 70 Prozent zurückgegangen. Es reift die Erkenntnis: Die Artenvielfalt der heimischen Vogelwelt kann nur durch schnelle und koordinierte Maßnahmen erhalten werden. Das funktioniert nur, wenn möglichst viele an einem Strang ziehen.

Schauplatz Natur: eine idyllische Wiesen- und Ackerlandschaft am Rande von Gütersloh-Niehorst. Dort brütet eine aus vier bis fünf Paaren bestehende Kolonie von Kiebitzen gerade ihren Nachwuchs aus. Seit ein paar Wochen sind die Kiebitze aus dem Süden zurück. Nach dem Ende der Brutzeit werden sie in ihr Winterquartier ziehen. Bis dahin leben sie in ständiger Gefahr. „Wenn wir jetzt nichts unternehmen, ist der Kiebitz in zehn Jahren weg. Das zeigt die Kurve deutlich“, sagt Bernhard Walter, Geschäftsführer der Biologischen Station Gütersloh/Bielefeld. „Noch 2007 wurden im Kreis Gütersloh mehr als 1200 Paare gezählt. Heute sind es gerade 350, Tendenz fallend.“ Eine ähnlich alarmierende Bilanz legen die Naturschützer auch für Gütersloh vor: Der Gesamtbestand im Stadtgebiet lag 2021 bei 43 Paaren. Noch 1991 waren 143 Paare ermittelt worden. Walter blickt durch sein Fernglas auf einen Punkt mitten auf dem Feld. Dort, in einer feuchten Mulde, befinden sich die Gelege der Kiebitze. Ihre Eier legen die Vögel direkt auf dem Boden ab. In der Regel sind es vier. Schemenhaft ragen in der Ferne spitze Stöcke in die Höhe – es sind Bambusstäbchen, je zwei pro Nest. Damit markieren die Mitarbeiter der Biologischen Station die Nistplätze. 

Gezielte Beobachtung während der Brutzeit

Mit dem Einsetzen der Brutzeit im März lokalisieren die Naturschützer die Gelege brütender Kiebitze durch gezielte Beobachtung. „Dieses Vorgehen ist effizienter als eine flächige Suche auf unübersichtlichen Ackerschlägen und minimiert die Störungen insbesondere zur sensiblen Legezeit“, erklärt die Landschaftsökologin Melissa Balkenohl, die beim Fachbereich Umweltschutz der Stadt Gütersloh den Schutz der Kiebitze koordiniert. Eine weitere Feldbegehung erfolge nach dem prognostizierten Schlupfdatum: Die Helfer wollen wissen, welches Schicksal den Kiebitz-Nachwuchs ereilt hat, und entfernen bei dieser Gelegenheit auch die Markierungen. Kriterien bei der Beurteilung des Nisterfolges sind unter anderem die im Schlupf befindlichen Eier sowie die frisch geschlüpften Küken. Es gilt, genau hinzuschauen: Bruchstücke von Eischalen im leeren Nest werden als indirekter Nachweis eines erfolgten Schlupfes gewertet, da Raubtiere typischerweise Eier entweder im Ganzen verschleppen oder vor Ort fressen. Die Bruten werden nach Möglichkeit so lange beobachtet, bis die Jungen flügge sind oder bis zum Abzug der Brutvögel. Balkenohl: „Somit lassen sich bei Betrachtung möglicher Umsiedlungen im Umfeld von einigen Hundert Metern um den Brutplatz grobe Einschätzungen zum Reproduktionserfolg treffen.“

Die Krux: Die Brutzeit fällt zeitlich mit der Bestellung der Äcker zusammen. Die Gefahr ist groß, dass der Kiebitz-Nachwuchs buchstäblich unter die Räder kommt. Die Stöckchen sind ein klares Signal: Vorsicht, hier nisten Kiebitze. So erkennt der Landwirt rechtzeitig die unscheinbare Nistmulde und kann mit seinem Traktor oder Pflug ausweichen.

Schutzprogramm: Nester werden marktiert

Die Markierung der Nester ist mit den Landwirten abgestimmt. Veränderungen in der Landwirtschaft machen dem Kiebitz und anderen Wiesenvögeln das Überleben schwer. „Nur in einer gemeinsamen Anstrengung kann der Fortbestand dieser gefährdeten Art gesichert werden“, betont Melissa Balkenohl. Sonja Wolters, Leiterin des Gütersloher Fachbereichs Umweltschutz, ergänzt: „Wir suchen und brauchen die Kooperation mit der Landwirtschaft und sind dabei, gute Lösungen zu finden. Es ist die letzte Chance für den Kiebitz.“ Ein weiterer notwendiger Baustein in dem Schutzprogramm sei die Anlage von Feldvogelinseln auf dem Acker, einen halben bis zu einem Hektar groß, die Nahrungs- und Versteckflächen für die flügge gewordenen Jungvögel bieten. Dafür erhalten die Landwirte einen finanziellen Ausgleich. Mit im Boot bei der Schutzaktion ist auch der Kreis Gütersloh. Alle Fäden laufen dort bei Annette Pagenkemper von der Unteren Naturschutzbehörde zusammen.

Das Engagement zahlt sich aus. „Wir haben erste Erfolge zu vermelden“, sagt Bernhard Walter. Bereits seit 1991 werde das Kiebitz-Vorkommen in der Region erfasst. Doch nicht nur die Lebensraumveränderungen und der damit verbundene Verlust von Lebensraum sind Grund für den starken Rückgang: Auch die Prädatoren, also Raubtiere wie Fuchs oder Marder, dezimieren den Kiebitz-Bestand. „Auf dem Acker ist es für den Nachwuchs extrem gefährlich“, so Walter. Da gibt es die natürlichen Feinde der scheuen Wiesenvögel. Gegen Krähen oder Greifvögel könnten sich die Kiebitze in der Regel gut zu Wehr setzen, vor allem dann, wenn die Kolonie groß genug sei. Das Dilemma: Der Schwund der Kiebitze macht die Vögel angreifbar. Die Regel: Je mehr Paare in einer Kolonie leben, desto größer sind die Chancen, dass möglichst viele Eier und Küken von den Räubern verschont bleiben. Einzeln brütende Paare sind hingegen fast hilflos ihren Feinden ausgeliefert. Gegen Prädatoren, so Walter, hätten die Kiebitze kaum eine Chance. Ein besonderes Problem sind die Waschbären. „Sie kommen nachts und rauben die Nester aus. Das zeigen uns die Aufnahmen der Wärmebildkameras.“ Und da seien noch die nicht angeleinten Hunde, die die brütenden Paare aufscheuchten. „Wenn die Eier erst einmal kalt werden, dann ist es schnell vorbei.“

Den Beinamen „Tänzer der Lüfte“ tragen die Kiebitze wegen ihrer akrobatischen Balzflüge, die von dem typischen „Kiewitt“-Ruf begleitet werden. Die schwarzweiße Zeichnung und seine charakteristische Federhaube machen den Kiebitz, dessen ursprüngliche Heimat die küstennahen Moor- und Marschlandschaften waren, zu einer auffälligen Erscheinung. Man ist sich einig: Es wäre jammerschade, wenn der anmutige „Tänzer der Luft“ für immer von den heimischen Äckern und Wiesen verschwinden würde.