Zum Inhalt (Access key c)Zur Hauptnavigation (Access key h)Zur Unternavigation (Access key u)
 

Vom „Jugendklo“ zum „Bauteil 5“

15.07.2022

Revolutionär? Oder auch nicht – eine kurze Geschichte der Jugendarbeit im Erzählcafé.

Auf der kleinen Bühne im Jugendzentrum „Bauteil 5“ diskutierten Eckhard Möller, Insa Jacobsen, Heinz Haddenhorst und Sara Aydin über Jugendarbeit in Gütersloh und ihre Geschichte seit den Siebziger Jahren.
Auf der kleinen Bühne im Jugendzentrum „Bauteil 5“ diskutierten Eckhard Möller, Insa Jacobsen, Heinz Haddenhorst und Sara Aydin über Jugendarbeit in Gütersloh und ihre Geschichte seit den Siebziger Jahren.

Auf die Suche nach dem Besonderen machte sich jetzt im Jugendtreff „Bauteil 5“ ein weiteres Erzählcafé, zu dem der städtische Fachbereich Kultur vier Zeitzeugen und Expertinnen des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte aus Münster eingeladen hatte. Die Erkenntnisse dieser Veranstaltung werden in die entstehende Erweiterung der Stadtgeschichte einfließen.

Eckhard Möller, Altschüler des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums bis 1973 Heinz Haddenhorst, bis 2010 Leiter des städtischen Jugendamtes, Sara Aydin, Leiterin des Jugendtreffs „Bauteil 5“ und Insa Jacobsen, Leiterin der CVJM-Jugendarbeit in der Stadt, brachten zum Thema „Jugendarbeit im historischen Wandel – zur Demokratisierung von demokratischer Erziehung nach dem Nationalsozialismus“ ihre persönliche Ansichten und Erlebnisse ein. Sie berichteten über die jugendlichen Proteste und Initiativen für die Errichtung eines Jugendzentrums vor fünfzig Jahren, über die Beteiligung und Mitbestimmung junger Menschen bei ihren Freizeitaktivitäten und über eine Einrichtung, die bundesweit als demokratisches Musterbeispiel für jugendliche Partizipation gesehen wird: das Jugendparlament.

Zwei Dinge seien bemerkenswert, bilanziert Christoph Lorke, Leiter des Forscherteams über Güterslohs Stadtgeschichte, die Veranstaltung. Ihm fallen die verschiedenen Gruppen von Jugendarbeit auf. „Wir hatten die herumlungernden Gymnasiasten, eine Elite-Gruppe, die sich, zunächst aus Langeweile, auf den Stufen der Martin-Luther-Kirche traf. Und es gibt die organisierte Jugendarbeit, die bis heute sehr stark auf soziale Probleme und Integrationsfragen verweist.“ Auch Zahlen beeindrucken ihn. In der Verfünfundzwanzigfachung der Ausgaben seit 1970 werde deutlich, dass sich der Fokus von Jugendarbeit gesamtgesellschaftlich verändert hat. Das „Problemfeld Betreuung“ ist größer geworden.

Den Anlass für eine demokratisch ausgerichtete Jugendarbeit gab der Stadtjugendring, der 1970 zu einer Diskussionsveranstaltung über „Ein Jugendzentrum für Gütersloh“ eingeladen hatte. Dort sei es hoch hergegangen, wie Eckhard Möller berichtet: Die Inhaberin einer Tanzschule habe, so seine Erinnerung, mit allen Mitteln versucht, ein offen arbeitendes Jugendzentrum zu verhindern, weil sie Angst gehabt habe, dass die Jugend nicht mehr zu ihren Sonntagnachmittags-Tanztees erscheinen würde. Eine Sorge, die sich – auch das ein Stück Jugendgeschichte in Gütersloh - als unberechtigt erwies.

In dieser Sitzung wurde das „Jugendforum“, später „Jugendzentrums-Initiative“, geboren, das die Jugendinteressen in dieser Frage vertreten sollte. Über die in Eigeninitiative in einem Fachwerkhaus errichtete „Teestube“ an der Friedrichstraße, die an der Königstraße von der Stadt eröffnete Übergangslösung mit dem schönen Titel „Jugend-Klo“ (da sich im Umfeld eine öffentliche Toilette befand) und das erste Jugendzentrum in der ehemaligen Schürzenfabrik Büttner an der Kaiserstraße war es ein langer, mit Diskussionen gepflasterter Weg, bis die heutige Lösung, der Jugendtreff im Bauteil 5 der Weberei, an den Start gehen konnte. „Vieles hat sich dabei furchtbar revolutionär angehört. War es aber nicht,“ resümiert Möller eigene Erfahrungen.

Geblieben ist aus dieser stürmischen Zeit, dass Jugendarbeit auf Mitwirkung und Mitentscheidung setzt. Sowohl in der offenen Arbeit des „Bauteil 5“ als auch in der Jugendverbandsarbeit des CVJM, wie Aydin und Jacobsen aus ihrer Arbeit übereinstimmend berichten. Dabei müsse immer wieder neu angesetzt werden. Demokratisches Verhalten sei immer wieder neu zu erlernen und im Alltag auszuprobieren. Dabei reicht die Bandbreite der Mitbestimmung vom eingerichteten Jugendrat im Bauteil 5 – Aydin dazu: „Die Gewählten freuen sich, weil das eine Art von Prestige ist. Dann haben sie ihre erste Sitzung und fragen sich: was jetzt?“ – bis zur Mitwirkung in der Vereinsversammlung des CVJM, wo sogar die Modernisierung ihres Clubhauses verantwortet wird.

Heinz Haddenhorst verweist ein wichtiges „anderes Stück von Jugendarbeit“, das Jugendparlament, das 2004 erstmals tätig geworden ist. „Das war ein deutliches Zeichen, wie der Weg mit Jugendlichen gegangen werden kann. So etwas für sich selbstbestimmt zu beschreiten und dabei die Politik zu animieren, auf sie zu hören und deren Beschlüsse umzusetzen, hat eine hohe Aufmerksamkeit erzeugt.“ Trotz aller anfänglichen Skepsis sei dieses Stück Jugendarbeit bis heute wirksam. „Es ist ein Teil der Demokratie, das greift,“ blickt der ehemalige Amtsleiter auf das städtische Vorzeigebeispiel, ein bis heute gelingendes Projekt partizipativer und integrativer Jugendarbeit.

Foto gesucht

Gibt es das noch? Das Stadtarchiv Gütersloh würde sich über historische Fotos aus dem „Jugendklo“ an der Königstraße freuen. Für alle, die Gütersloh aus dieser Zeit noch nicht kennen: Es befand sich am heutigen Berliner Platz, ungefähr gegenüber des Spielwarengeschäfts Witthoff.

Kontakt: Stadtarchivarin Julia Kuklik, jlklkgtrslhd, Telefon: 05241/822302