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Vor 70 Jahren fällt die „Männerbastion Stadtrat“

09.11.2022

Mit den Kommunalwahlen am 9. November 1952 ziehen erstmals Frauen in den Rat der Stadt Gütersloh ein.

Zeigen die wenigen Nachweise der ersten Ratsfrauen in Gütersloh (v.l.): Mitglied der Geschichtswerkstatt Dr. Franz Jungbluth, Stadtarchivarin Julia Kuklik und die städtische Gleichstellungsbeauftragte Inge Trame
Zeigen die wenigen Nachweise der ersten Ratsfrauen in Gütersloh (v.l.): Mitglied der Geschichtswerkstatt Dr. Franz Jungbluth, Stadtarchivarin Julia Kuklik und die städtische Gleichstellungsbeauftragte Inge Trame

Die eine war fest im städtischen Großbürgertum verankert und verfügte über ein illustres politisches Netzwerk. Die andere kam nach dem Zweiten Weltkrieg alleinerziehend nach Gütersloh und engagierte sich fortan für Vertriebene und Kriegsopfer. Bei allen Unterschieden in den Lebenswegen von Elfriede Güth und Margot Johnsen fällt der Blick in diesen Tagen auf eine Gemeinsamkeit: Mit drei weiteren Politikerinnen sorgten sie vor 70 Jahren dafür, dass die Sitzungen im Ratssaal der Stadt Gütersloh ab sofort keine reinen Männerveranstaltungen mehr sein würden. Bei den Kommunalwahlen am 9. November 1952 zogen je zwei Ratsfrauen – offizielle Anrede damals noch „Frau Ratsherrin“ – von CDU und SPD sowie eine FDP-Politikerin in das Stadtparlament ein. Dabei war die Gütersloher Lokalpolitik durchaus spät dran.

Denn ab 1919 durften Frauen nicht nur auf allen politischen Ebenen wählen, sondern auch für Ämter und Mandate kandidieren. Auch drei der fünf ersten Gütersloher Ratsfrauen waren bereits in der Weimarer Republik politisch engagiert und alle wirkten in den Nachkriegsjahren ehrenamtlich in den Hilfsgremien der Stadt mit, beispielsweise im Wohnungsausschuss oder im Fürsorgeausschuss. Warum der Rat bis 1952 dennoch ein Bollwerk der Männer blieb, lässt sich mit den vorliegenden Quellen nur schwer beantworten. Darum geht es Inge Trame aber auch gar nicht. Vielmehr bedauert die städtische Gleichstellungsbeauftragte, dass die Namen dieser Vorreiterinnen weitgehend vergessen sind. „Gerade mit Blick auf das Stadtjubiläum 2025 sollten wir die Verdienste von Frauen um die Stadtgesellschaft mehr ins Bewusstsein rücken“, findet Trame. Und daraus will sie auch gleich eine Vision für die nähere Zukunft ableiten. In der Kommunalpolitik sind Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Ihr Anteil liegt in den Stadt-, Kreis- und Gemeinderäten im Durchschnitt bei aktuell 27,7 Prozent und in der Stadt Gütersloh bei 39,29 Prozent. „Unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen sind in der Kommunalpolitik notwendig, um Politik für die gesamte Stadtgesellschaft zu machen“, so Inge Trame. So beteiligt sich die Stadt Gütersloh jetzt an einer interkommunalen Initiative, um die Kommunalpolitik weiblicher zu machen.

Auf die Vorbildfunktion der ersten Frauen im Rat kam Inge Trame vor sieben Jahren. Für die immer noch aktuelle Debatte um die Benennung von neuen Straßen ließ sie durch den damaligen Stadtarchivar Stephan Grimm die Namen der fünf Pionierinnen ausfindig machen und erreichte, dass 2019 eine Straße nach der Ratspolitikerin und Turnerin Ida Schulze benannt wurde. Da das Thema immer noch die Gemüter bewegt, hat Trame inzwischen weitere Unterstützung. Bei den Recherchen in Kreis- und Stadtarchiv standen ihr Grimms Nachfolgerin Julia Kuklik und Dr. Franz Jungbluth, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Straßennamen in der Gütersloher Geschichtswerkstatt, zur Seite. Sie förderten nicht nur neue Akten und Daten zu den Politikerinnen der ersten Stunde zutage, sondern wollen sich weiter auf Spurensuche machen. „Und dafür ist die historische Recherche im Archiv unerlässlich. Von einem gut aufgestellten Archiv profitieren alle“, weiß Archivarin Kuklik. „Wir kennen schon die Namen der ersten Ärztinnen in der Provinzialheilanstalt und im St.-Elisabeth-Hospital“, so Historiker Jungbluth. „Vielleicht können wir der Stadt in drei Jahren zum Jubiläum ja ein ‚Medizinerinnen-Viertel‘ schenken, mit lauter verdienten Frauen, die als Ärztinnen oder in der Pflege in Gütersloh aktiv waren?“

Vorher aber ist es auch der Geschichtswerkstatt ein Anliegen, neben Ida Schulze noch weitere Ratsfrauen zu würdigen. Jungbluth, Kuklik und Trame verweisen einhellig auf Margot Johnsen, die alleinerziehende Witwe, die sich für andere Geflüchtete engagierte. Aus dem Rat musste sie zwar schon nach wenigen Monaten wegen eines Formfehlers bei der Wahl ausscheiden. 1956 wurde sie aber – wiederum als erste Frau – in den Wiedenbrücker Kreistag gewählt. Als ehrenamtliche Richterin brachte sie es bis ans Bundessozialgericht nach Kassel und wurde dafür mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Mehr Vorbild geht eigentlich nicht.