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Wir zerreiben uns in Deutschland mit unseren digitalen Systemen

23.08.2018

Die Digitalisierung der Stadt beschäftigt die Kommunen in ganz Deutschland. Der Bür-germeister von Gütersloh, Henning Schulz, gibt Auskunft, inwieweit die Umbrüche auf der Verwaltungsebene sinnvoll sind und warum er isolierte Leuchtturmprojekte für gutgemeinten Unsinn hält.

Auch die Hardware steht zur Debatte. Aus dem Dauer-Parkplatz wird ein Stadtplatz mit Fontäne: Henning Schulz auf der Baustelle vor dem Gütersloher Rathaus.  Foto: Kaye Geipel
Auch die Hardware steht zur Debatte. Aus dem Dauer-Parkplatz wird ein Stadtplatz mit Fontäne: Henning Schulz auf der Baustelle vor dem Gütersloher Rathaus. Foto: Kaye Geipel

Aus der
Das Interview mit Henning Schulz führte Kaye Geipel


Mittelgroße Städte wie Gütersloh stehen in vorderster Linie der digitalen Strukturdebatte – sie haben weder die Think-Tank-Kapazitäten noch die ökonomischen Ressourcen wie die Metropolen und müssen sich beim Einsatz der neuen Technologien genau überlegen, wo sind diese nötig und wo nicht. Wie treffen Sie solche Entscheidungen?

Ich habe gegen Ende letzten Jahres einen Prozess initiiert unter dem Titel „Digitaler Aufbruch Gütersloh“. Dieser Prozess umfasst zwei große Bereiche. Der eine ist das sogenannte „eGovernment“ in der Verwaltung. Ich mag diesen Begriff eigentlich nicht besonders, weil er vermuten lässt, es geht hier nur um die „Elektrifizierung“ von Verwaltungsvorgängen und ist damit, angesichts der Breite an betroffenen Handlungen, viel zu kurz gegriffen. Der zweite – wesentliche – Bereich der Digitalisierung betrifft die Stadtgesellschaft als Ganzes. Und da ist mein Leitsatz „Digitalen Wandel gemeinsam gestalten“1. In manchen Debatten zu diesem Thema gewinnt man den Eindruck, die Digitalisierung bräche als etwas Unabwendbares über uns herein, wie eine Naturgewalt, die wir nicht mehr beherrschen können. Das finde ich nicht akzeptabel. Es mag ja stimmen, dass einige Bürger diesen Eindruck haben. Aber in der Folge polarisieren dann die einen und sagen „Das wird alles ganz schrecklich und wir werden alle arbeitslos“, und die andern prophezeien die beste aller Welten. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Aber im Kern ist die Digitalisierung eine Gestaltungsaufgabe. Und die größten Gestaltungshebel hat man in der Kommune.

Neue Digitale Werkzeuge: Nur wenn der Mehrwert stimmt

Was verstehen Sie unter einer „Gestaltung“ der Digitalisierung?

Grundsätzlich geht es erstmal nicht darum zu sagen: „Ach, wir kaufen da mal Technik, und damit ist die Sache erledigt.“ Der Bewusstseinswandel unter den Leuten ist viel wichtiger. Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Deswegen sage ich: Digitalisierung bedeutet, wir machen uns das Leben leichter. Das ist Anspruch und Prüfstein zugleich. Im Kern geht es darum: Wenn dieses digitale Werkzeug – und es ist ein reines Werkzeug – nicht dazu führt, dass wir einen Mehrwert für die Stadtgesellschaft erreichen, ein Mehr an Lebensqualität, oder eine wirkliche Erleichterung für die Verwaltung, dann brauchen wir das nicht zu machen.

Die Auswirkungen der Digitalisierung sind für viele ein eher abstraktes Thema. Wie wollen Sie die Leute dafür einnehmen?

Zum einen führen wir die Diskussion hier in der Verwaltung – mit allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Wir wollen anstoßen und fragen: „Guckt mal, wie könnte es denn sein?“ Und dann organisieren wir im November mit der Stadtgesellschaft eine offene Veranstaltung – sie findet übrigens einen Tag nach dem Bauweltkongress zur Digitalen Stadt statt 2 – hier im Theater Gütersloh. Wir konzipieren diese Veranstaltung gemeinsam mit unseren „Kulturräumen“, denn für mich ist Digitalisierung ein echtes Querschnittsthema. Theater und Kultur sind ja auch Spiegelungsinstrumente, die gesellschaftlichen Wandel deutlich machen, aber auch Chancen und Risiken behandeln.

Sie sagen Sie vermeiden den Begriff „Digitalisierung“. Es gibt einen anderen, in den letzten Jahren populären Begriff, der inzwischen gerne vermieden wird, weil ihn viele mit technologischer Fremdbestimmung verknüpfen: „Smart City“. War Gütersloh auch schon eine „Smart City?

Sie haben Recht, diese Begriffe werden von der Bevölkerung oft als nebulös empfunden; die Debatte beschränkte sich auch bei uns auf die Fachleute. Das ist so ähnlich, wie wenn Sie über „Open Space“ reden und zu den Bürgerinnen und Bürgern dann sagen: „Jetzt macht doch mal mit!“ Dann ist die persönliche Betroffenheit nicht annähernd so groß, wie bei der Aufstellung eines B-Plans oder dem Bau einer Straße vor ihrer Haustür.

„Ich habe da was Nettes gesehen“

Deshalb die Veranstaltung im Stadttheater?

Genau. Wir möchten möglichst viele Akteure aus der Stadtgesellschaft, der Bürgerschaft und der Politik zusammenbringen, um deutlich zu machen, wo die Digitalisierung ihren Alltag betrifft. Warum gibt es eine kommunale Notwendigkeit für die Digitalisierung? Eben nicht in einem Aktionismus nach dem Motto: Ich habe da was Nettes in einer anderen Kommune gesehen, das könnten wir doch auch machen! Dann bleibt es bei kleinen Bau-steinen, die unverbunden neben einander stehen. Aber die helfen der Stadtgesellschaft nicht. Wir brauchen eine Gesamtstrategie.

Digitalisierung bedeutet in der Praxis persönliche Datenerhebung. Da beginnen dann die Sorgen: „Jetzt will auch die Stadt ran an meine Daten!“

Das ist ein entscheidender Punkt. Über die Datenhoheit wird zu wenig gesprochen. Im Kern steht das zwar in allen Gesetzen drin. Aber im emotionalen Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger ist es nicht verankert. In Zusammenhang mit der EU-Datenschutzgrundverordnung ist das zwar jetzt von vielen wahrgenommen worden, was etwa Google, Apple, Amazon und andere im Hintergrund mit unseren Daten anstellen. Das führt aber auch dazu, dass Bürgerinnen und Bürger, wenn wir als Stadtverwaltung sagen, aktiviere doch die e-ID-Funktion deines Personalausweises, gerne antworten: „Nein, das machen wir lieber nicht.“

Google, Apple und Amazon vermeiden diese Debatten

Was wir deshalb dringend brauchen, ist eine Diskussion darüber, wie wir den Umgang der öffentlichen Hand mit den Daten organisieren. Wer implementiert dazu welche Basisinfrastruktur? Wichtig vor allem: Wer baut so etwas wie einen Datentresor, bei dem die Bürgerinnen und Bürger quasi in dem Moment, wo eine Behörde darauf zugreifen will, gefragt werden, ob sie das darf? Gebe ich meinen Kindergeldantrag in dieser Form per Netz frei oder will ich ihn vielleicht doch noch per Papier einreichen? Diese Frage nach der Datensouveränität und die entsprechende Datenhoheitsdiskussion fehlt im gesellschaftlichen Diskurs. Wenn wir die Diskussion um den Mehrwert der Digitalisierung nicht offen und ehrlich führen und sagen, das wollen wir als Staat, dann wird das nicht klappen. Google, Apple und Amazon vermeiden genau diese Debatten.

Ein Beispiel für diesen praktischen Mehrwert?

Man kann Daten ohne weiteres auswerten, ohne sie personifiziert zu nutzen. Wenn am Freitagabend bei uns im Kino 300 Leute sitzen und davon sind 100 im Saal, die nach der Spätvorstellung in einen der Ortsteile im Umkreis von Gütersloh zurückwollen, dann tut das momentan jeder für sich: Er lässt sich abholen, fährt Bus oder Fahrrad oder bestellt ein Taxi. In dem Moment, wo eine Plattform diese Daten sammelt und den 100 Leuten im Saal kommuniziert: „Geht nach der Vorstellung dorthin, dort steht ein dynamisch gefahrener Sammelbus unseres Busbetriebs.“ Dann könnte dieser Bus die Ideallinie fahren, um die Menschen möglichst nah an ihre Haustür zu bringen. Dafür muss die Plattform aber nicht wissen, ob Sie das sind oder ob ich das bin. Ich gebe ein weiteres Beispiel, wie die Digitalisierung im städtischen Leben helfen kann. Die Rolle des Ehrenamtes wandelt sich gerade. Heute gibt es viel mehr unabhängige Helfer, die nicht institutionell in Vereinsstrukturen gebunden sind. Wir wissen etwa aus der Hochphase der Zuwanderung, dass sich viele Menschen in der Flüchtlingshilfe engagiert haben – dies aber ohne Vereinszugehörigkeit. Salopp gesagt: Wer einmal geholfen hat, Kopfweiden zu schneiden, will nicht automatisch Mitglied eines Naturschutzvereins werden. Aber er will sich demnächst vielleicht wieder in anderer Form engagieren. Wir arbeiten deshalb an digitalen Lösungen, um eine georeferenzierte Verbindung herzustellen zwischen denen, die Hilfe brauchen – Vereine zum Beispiel – und denjenigen, die sich etwa fragen, wo kann ich mich im Umkreis von einem Kilometer um meinen Wohnort spontan und ohne weitere Bindung engagieren?

„Ihr habt uns nicht rechtzeitig informiert“

Es gibt also viele digitale Baustellen, nicht nur auf der Ebene der größeren Effizienz der Verwaltungsstruktur?

Es betrifft jeden Lebensbereich. Es geht etwa um eine Bauleitplanung; sie machen da als Verwaltung eine Beteiligung, wie es im BauGB steht. Dann stehen Sie kurz vor dem Ratsbeschluss und plötzlich haben sie 15 Leute vor sich stehen, die sagen, sie haben nichts davon mitbekommen. Ich könnte mir in solchen Fällen vorstellen, dass man so Dinge macht wie eine digitale individuelle Abfrage für alle Themen des kommunalen Zusammenlebens nach dem Motto: „Welche Dinge werden in den nächsten fünf Tagen im Rathaus und seinen Gremien diskutiert, die meinen Wohnort und die nähere Umgebung betreffen?“ Damit könnten wir alle direkt ansprechen. Das hat dann auch mit der demokratischen Legitimation zu tun, wie wir zusammenarbeiten in der Gesellschaft.

Sie meinen mehr unmittelbaren Kontakt?

Genau.

Ist das das Ziel Ihrer digitalen „Gesamtstrategie“?

Wichtigster Punkt ist, dass wir eine gesellschaftliche Relevanz erzeugen, eine Betroffenheit im positiven Sinne. Zu Recht beklagt man sich darüber, dass die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zu den Wahlen geht. Warum gibt es Menschen, die sich abgeschnitten, nicht mitgenommen fühlen? Da sehe ich Chancen, über die neuen Technologien eine Informiertheit herzustellen, die positive Auswirkungen hat. Denn Sie können nirgendwo so viel mitbestimmen und bewirken wie in der Kommune.

Welche Prioritäten?

Kommen wir zu den einzelnen Bereichen der Digitalisierung in der Kommune. Es geht zum Beispiel um das „smartere Verwaltungshandeln“, um die nachhaltige Steuerung von Umwelt und Energie, um die städtische Mobilität und um Smart Living, ein Bereich, der auch die häuslichen Pflegedienste umfasst. Eine Fülle von Themen – welche haben Priorität?

Eines ist klar: Der Bürgermeister ist nicht derjenige, der sagt, das hat die und die Priorität, ich habe hier einen Plan und den setzen wir jetzt um. Wir fragen gemeinsam, was brauchen wir und was nicht. Alle Fachbereiche im Rathaus sind da eingebunden. Nehmen wir das Stichwort Umwelt: Wir sind keine Stadt, der aufgrund von Grenzwertüberschreitungen Fahrverbote drohen – wir haben auch – verglichen mit Großstädten – nur punktuelle Verkehrsstaus. Unsere Mobilitätsthemen sind andere. Ein City-Monitoring-System, das die Feinstaubbelastung an den Straßen anzeigt, hätte für uns keinen nutzbaren Mehrwert. Auf der anderen Seite wird an den Rändern unserer Stadt zunehmend die Frage gestellt, wie es künftig mit der Hausärzteversorgung aussieht? Das sind Themen, die sind in den neuen Bundesländern schon seit vielen Jahren dringlich, und das werden sie jetzt auch bei uns. Eine Antwort könnte die Telemedizin oder vielleicht bloß ein Face-Time- oder Skype-gebundener Dienst.

Ich verstehe, dass solche Entscheidungen nicht einfach sind. Die neuen Technologien sind ja auch nicht billig.

Genau. Wir brauchen einen Dialogprozess. Ich möchte allerdings nicht erst mal drei Jahre diskutieren, bis feststeht, welchem Thema wir uns vorrangig widmen wollen. Wir wollen über die Einbindung möglichst vieler Akteure möglichst schnell einen kommunalen Konsens erzeugen. Den brauchen wir für einen zielgerichteten Prozess. Reiner Aktionismus hilft nicht weiter. Notwendig ist ein flexibler Masterplan, da sich auch die Technologie ständig weiterentwickelt.

Problematik von Leuchtturmprojekten

Wie lässt sich angesichts der sich ständig verändernden Technologien die Qualität der angebotenen Dienste prüfen?

Das ist in der Tat ein Dilemma: Wir sehen momentan ja in vielen Kommunen sogenannte Leuchtturmprojekte. Die werden dann unter anderem gefördert durch Landes- oder Bundesmittel, mit dem Ziel, der „Leuchtturm“ soll dann auch von den anderen Kommunen weiterverwendet werden können. Aber dieses Prinzip hilft der Breite der Kommunen nicht weiter – sie wissen zwar, dass sie die geförderte Software jetzt auch erwerben können. Aber es entsteht keine Übertragbarkeit, solange die Software den anderen Kommunen nicht als OpenSource zur Verfügung steht. Dass Anbieter auch mit OpenSource Geld verdienen können, zeigt zum Beispiel die Software „Nextcloud“; Anpassungsprogrammierungen gibt es sowieso in jeder Kommune. Zurzeit sieht es leider immer noch so aus, dass der Leuchtturm einer Kommune den anderen 12.399 Kommunen und Kreisen in Deutschland systemisch nicht weiterhilft – sie müssten alle neu kaufen. Wir brauchen einen gemeinsamen Hebel hinter dieser Debatte. Was uns fehlt, ist meines Erachtens die Diskussion über ein systemisches Denken in Bund, Land und Kommunen mit dem Ziel, dass diese Vorgänge reproduzierbar werden. Das ist das große Defizit der aktuellen Diskussion. Natür-lich erfahren wir aus den Fachzeitschriften, der eine hat dies gemacht, der andere jenes, da denkt man: Oh, spannend. Und dann wägt man ab. Aber solche Einzelentscheidungen sind schon finanziell überhaupt nicht tragbar. In einer Kommunalverwaltung der Größe von Gütersloh gibt es ungefähr dreieinhalbtausend Prozesse. Sie können sich vorstellen, wieviel Komponenten Sie kaufen müssten (lacht).

Dreieinhalbtausend Abläufe – wie gehen Sie also vor?

Wir machen ein Prozess-Management mit der Vorgabe, analoger „Unsinn“ soll kein digitaler werden! Damit will ich nicht sagen, dass wir unsinnige Prozesse durchführen. Aber was heute in Papierform von A nach B in verschiedenen Schritten abgearbeitet wird, muss ja in der digitalen Welt nicht genauso abgebildet werden. Dann clustern wir. Wir nehmen jeden Vorgang unter die Lupe: „Da gibt einer einen Antrag ab, dann wird inhaltlich geprüft und ausgewertet, dann gibt es einen Bescheid, dann muss man was bezahlen usw.“ Wenn man das so clustert, wird schnell klar, welche Vorgänge, die inhaltlich unterschiedliche Themen betreffen, strukturell vergleichbar sind und entsprechend behandelt werden können.

Was folgt daraus?

Wir haben nicht den Anspruch, dass alle Vorgänge mit derselben strukturellen Genauigkeit erledigt werden müssen. Es gibt Vorgänge, die finden 20.000 Mal im Jahr statt. Wenn Sie aber Vorgänge haben, bei denen ein Bürger nur alle zwei, drei Jahre kommen muss, dann ist es völlig in Ordnung, wenn man dieser Person einen verbindlich gebuchten Termin zur Verfügung stellt. Wir setzen da an, wo der größte Hebel existiert.

Mit welchen Kosten rechnen Sie, was die Digitalisierung betrifft? Müssen Sie ein Zusatzbudget einplanen. Oder wird alles viel billiger?

Unsere Hoffnung ist – ob sie sich bestätigt, weiß ich nicht – dass am Ende auch Einsparungen zu verzeichnen sind. Wobei Sie es im kommunalen Kontext so sehen müssen: Ich verliere bis 2030 ungefähr 40 Prozent meines Personals in den Ruhestand. In einigen Bereichen ist es bereits schwierig, Stellen besetzt zu bekommen. Insofern ist die Digitalisierung eine Strategie, um handlungsfähig zu bleiben im Sinne der Daseinsvorsorge. Ich werde das Fachkräftepersonal, das ich verliere, in dieser Zahl nicht mehr bekommen. Insofern geht es auch darum, die Fachkräftelücke über Technologie zu schließen. Ich erkläre das den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen so, dass ich sage, ich möchte Euch vom Faxen, Drucken, Scannen und Abheften befreien. Ihr sollt die nötige Zeit dafür haben, Ermessensentscheidungen auf einem fachlichen Niveau treffen können. Und ihr sollt diese adäquat kommunizieren können von Mensch zu Mensch.

Ausdünnung der Bauverwaltungen

Kurzum: Wenn wir bestimmte einfache Aufgaben nicht besser strukturie-ren, kommen wir bald in Situationen, die wir teilweise heute schon in den Bauverwaltungen spüren: Wir kriegen die Millioneninvestitionen, die auf dem Tisch liegen, nicht mehr verbaut. Wir haben die Firmen nicht mehr, die sie umsetzen können, wir haben die Planer im freien Markt nicht mehr, die sie adäquat planen können. Viele Kommunen haben Bauverwaltungen, die in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgedünnt worden sind, auch in dem Bewusstsein, das kann man doch alles extern machen.

Die Kommunen stehen alle vor ähnlichen Umbrüchen. Es braucht einen wechselseitigen Lernprozess, was die Digitalisierung betrifft. Leuchtturmprojekten stehen Sie skeptisch gegenüber. Was ist also nötig, um Projekten mit einem „Mehrwert für die Bevölkerung“ in vielen Städten einen Schubs zu geben?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Es gibt hunderte von Registern in Deutschland, und man hat den Anspruch, die alle zu harmonisieren. Wenn Sie etwa als bauvorlagenberechtigter Architekt bei der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen diese Berechtigung digital abrufen könnten, bräuchte niemand mehr einen analogen Nachweis beim Bauantrag zu führen. Ich glaube aber, dass mit diesem Anspruch viel Zeit verpufft, weil wir dann erst mal zehn Jahre harmonisieren und dabei doch nicht wirklich vorankommen.

Wir brauchen eine gemeinsame Basis-Infrastruktur

Viel wichtiger wäre aus meiner Sicht, dass wir uns auf Bundesebene darum kümmern, eine Art Basis-Infrastruktur für entsprechende digitale Informationen aufzubauen. Man kann sich in diesem Zusammenhang Estland ansehen, wie die das in ihrem Land gemacht haben. Die haben eine Blockchain aufgebaut und an diese können sich Behörden wie private Firmen andocken. Für Deutschland müsste das sicher etwas anders aussehen. Wir haben die verschiedenen föderalen Systeme bis hin zu den verschiedenen Berufsgruppen, wie beispielsweise die Architektenkammer. Die könnten sich dann alle einklinken mit ihren Registern. Nehmen Sie nur das Beispiel des Anwohnerparkausweises. Bei seiner Ausstellung sind heute drei Verwaltungsebenen berührt: das Kraftfahrtbundesamt, der Bund, die Meldestelle des Kreises und das Einwohnermelderegister der Stadt – jede Ebene mit ihren eigenen digitalen Systemen! Alle drei müssen heute für sich prüfen, bevor der Bürger endlich bezahlen kann über Pay-pal, um schließlich bei sich zu Hause auf die Taste zu drücken: „Anwohnerparkausweis ausdrucken!“

Dass jedes Amt und jede Behörde das für sich selbst macht, ist eines der Kernprobleme in Deutschland. Hätten wir heute schon eine gemeinsame Basis-Infrastruktur mit einem Datentresor, dann müsste der Bürger nur jedes Mal sagen, Daumen hoch, Daumen runter, Ihr dürft jetzt auf dieses Merkmal zugreifen oder eben nicht. Das wäre eine Struktur, auf der wir weiter aufbauen könnten und die auch die Datensouveränität garantiert. Aber solange wir uns nur mit der Leuchtturmförderung zufrieden geben, – die gut gemeint ist, gar keine Frage – werden wir nicht vorankommen. Wir zerreiben uns in unseren Systemen, wenn jeder in Bund, Land und Kommune nur „seine“ Zuständigkeiten sieht.