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Kita und Tagespflege „am Limit“

15.12.2022

Aktuelle Situation im Bereich der Kinderbetreuung führt immer wieder zu Betreuungsausfällen.

Guido Bolz (links), Leiter des Fachbereichs Tagesbetreuung von Kindern bei der Stadt Gütersloh, und der städtische Beigeordnete für den Bereich Kinder und Jugend, Henning Matthes.
Guido Bolz (links), Leiter des Fachbereichs Tagesbetreuung von Kindern bei der Stadt Gütersloh, und der städtische Beigeordnete für den Bereich Kinder und Jugend, Henning Matthes.

Zuletzt im Mai dieses Jahres hatte Guido Bolz, Leiter des Fachbereichs Tagesbetreuung von Kindern bei der Stadt Gütersloh, im Jugendhilfeausschuss mitgeteilt, wie angespannt die Situation in den Kindertageseinrichtungen insbesondere im Rückblick auf das Winterhalbjahr 2021/2022 war. Heute (15.12.2022) berichtete die Verwaltung erneut im Jugendhilfeausschuss über die aktuelle Situation. Dabei trifft das Wort „angespannt“ kaum mehr zu, „dramatisch“ trifft es inzwischen leider besser.

Öffnungszeiten müssen reduziert werden

In einer Vielzahl von Kindertageseinrichtungen, und das nicht nur bei der Stadt Gütersloh, sondern übergreifend bei allen Trägern von Kindertageseinrichtungen, müssen derzeit die Öffnungszeiten insbesondere im Nachmittagsbereich reduziert werden. Die Ursachen dafür sind eine immens hohe Krankenquote sowie der immer deutlicher spürbare Fachkräftemangel. Für das vergangene Winterhalbjahr nennt Guido Bolz eine Fehlquote von fast 25 % beim Fachpersonal in den städtischen Kitas. Die derzeitige Situation nähert sich diesem Wert erneut. Die Stadt Gütersloh ist Träger von 22 Kindertageseinrichtungen. Insgesamt gibt es in Gütersloh derzeit 57 Kitas.

„Die aktuelle Situation macht deutlich, dass der krankheitsbedingte Personalausfall von keinem Träger kompensiert werden kann. Und auch wenn kurzfristig nachgesteuert werden wollte: Das Personal steht am Arbeitsmarkt schlicht nicht zur Verfügung“, betont Bolz. Hinzu kommt, dass in der Verantwortung für die Kinder und das Personal und zur Einhaltung formaler Bestimmungen Einschränkungen der Betreuungsangebote unvermeidbar sind. Denn: Kann das gesetzlich vorgeschriebene Verhältnis zwischen pädagogisch ausgebildetem Betreuungspersonal und den zu betreuenden Kindern nicht mehr eingehalten werden, muss das Betreuungsangebot zwangsläufig eingeschränkt werden, verdeutlicht Guido Bolz.

Größtmögliches Betreuungsangebot wird versucht umzusetzen

Alle Leitungen in den städtischen Kindertageseinrichtungen und alle Beschäftigten dort versuchen ein größtmögliches Betreuungsangebot umzusetzen, aber sie stoßen immer mehr an Grenzen. Für die Träger der Kitas bestehen kaum noch Möglichkeiten für Personalverschiebungen oder ähnliche Maßnahmen.

Die Folgen dieser Situation treffen laut Henning Matthes, städtischer Beigeordneter für den Bereich Kinder und Jugend, in erster Linie die Kinder selbst: „Kinder haben ein Recht auf Bildung und auf die Umsetzung eines qualitativ hochwertigen Betreuungsangebotes. Unterm Strich lässt die aktuelle Situation kaum pädagogische Angebote zu.“ Häufig rückt das reine Erfüllen der „Aufsichtspflicht“ in den Vordergrund. „Aber gerade jetzt, wo Corona, der Ukrainekrieg und die wirtschaftlichen Folgen sich auf die Familien und damit selbstverständlich auch auf die Kinder auswirken, wo wir eine deutliche Zunahme von Kinder wahrnehmen, denen es schwerfällt, ihre Gefühle zu regulieren, und wo grenzverletzendes Verhalten häufiger vorkommt, wäre eines so wichtig: gut ausgebildete Fachkräfte und ausreichend Zeit“, so Matthes.

„Das Wegbrechen von Betreuungsangeboten stellt auch viele Eltern vor große Herausforderungen“, ergänzt Bolz. „Kurzweilige Einschränkungen lassen sich meistens organisieren. Einschränkungen über mehrere Tage oder Wochen bauen einen erheblichen Druck auf, insbesondere, wenn Arbeitsverhältnisse der Eltern damit nicht vereinbar sind.“ Das Unverständnis der Eltern für die Situation habe deutlich zugenommen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an gesundheitlichen Grenzen

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kindertageseinrichtungen stießen mittlerweile immer häufiger an ihre gesundheitlichen Grenzen, macht Guido Bolz deutlich. Eine Vielzahl berichte von einer hohen psychischen Belastung. „Die ständige Herausforderung zu überlegen, wie man den Tag mit dem dezimierten Personal bestmöglich gestaltet, macht mürbe.“ Und dabei gehe es nur um die reine Betreuung. „Aber unsere Fachkräfte haben ja auch den Anspruch an sich, eine wertvolle pädagogische Begleitung für unsere Kinder zu leisten“, so Henning Matthes. „Die Herausforderung, Projekte, Aktionen oder andere Angebote für die Kinder verschieben, neu organisieren oder ganz absagen zu müssen, und auch die innere Zerrissenheit, dass man den Bedürfnissen aller anvertrauten Kinder nicht gerecht werden kann, belastet zusätzlich enorm.“

Eine gewisse Entlastung der Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas werde die Stadt über den Einsatz zusätzlichen Personals erreichen, erklärt Guido Bolz. Dieses unterstütze bei alltäglichen Arbeiten wie der Umsetzung von Hygieneregeln, beim Küchendienst, Einkaufen und Reinigen oder auch bei Ausflügen und Veranstaltungen. Bolz betont aber auch: „Diese sogenannten Alltagshelferinnen und Alltagshelfer[1] und weiteres zusätzliches, nicht pädagogisch qualifiziertes Personal sind eine Unterstützung, aber sie ersetzen nicht die fehlenden Fachkräfte.“ 

Fachkräfte sind aktuell notwendiger denn je

Und Fachkräfte sind aktuell notwendiger denn je. Denn die Anforderungen sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Henning Matthes: „Die von der Landesarbeitsgemeinschaft der Öffentlichen und Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen dem Familienministerium NRW vorgeschlagene Ausweitung des Einsatzes von geeigneten, aber nicht speziell qualifizierten Personen, zum Beispiel Kita-Helfern, ist insofern allenfalls als mittelfristige Entlastung zu sehen, nämlich bis zu einer entsprechenden Qualifizierung des Personals.“

Mit der Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) im Jahr 2020 hat das Land versucht, die Kinderbetreuungsangebote zukunftssicher aufzustellen. Aktuelle Studien wie von der Bertelsmann Stiftung zeigen jedoch auf, dass der im Gesetz suggerierte Anspruch auf Betreuung nicht mit den Personalressourcen abgedeckt werden kann. „Insofern scheinen weitere Ausbauvorhaben hinsichtlich Betreuungsansprüchen wie der Offene Ganztag an Grundschulen oder die Umwandlung der heilpädagogischen Einrichtungen fragwürdig, was die Ausstattung mit ausreichend qualifiziertem Personal angeht“, erklärt der Gütersloher Beigeordnete.

„Aus unserer Sicht sind Veränderungen im Kinderbetreuungssystem dringend erforderlich, so dass Ansprüche auf Betreuung mit den vorhandenen Personalressourcen zusammenpassen, dass Personal die Möglichkeit erhält, auf die aktuellen Krisen eine pädagogische Antwort im Alltag zu geben, und dass die Eltern auf die Beständigkeit der Betreuungsangebote vertrauen können“, fasst Guido Bolz zusammen. „Unser Appell an die politisch Verantwortlichen im Land lautet: Bitte thematisieren Sie die Situation der Kindertageseinrichtungen in Ihren Fraktionen und die dringende Notwendigkeit von Veränderungen. Die Situation ist dramatisch.“

Was tut die Stadt Gütersloh, um der angespannten Situation zu begegnen?

„Natürlich können wir an den gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Entwicklung am Arbeitsmarkt wenig ändern. Aber im Rahmen unserer Möglichkeiten tun wir, was wir können, um die Situation zu verbessern und die Betreuung der Kinder sicherzustellen“, erklärt der Beigeordnete Henning Matthes die Bemühungen der Stadt Gütersloh. Hier nur einige Beispiele:

  1. Bereits im 2. Halbjahr 2021 nach Auslaufen der Landesförderung hat die Stadt Gütersloh die Alltagshelfer weiter beschäftigt, so dass es nicht zu einer Unterbrechung der Unterstützung kam. Das Land NRW hat die Förderung dann zum 01.01.2022 wiederaufgenommen. Durch die Übernahme von nicht pädagogischen Tätigkeiten in den Kindertageseinrichtungen werden die Fachkräfte deutlich entlastet. Von den Leitungen der Kindertageseinrichtungen wird eine hohe Zufriedenheit mit Alltagshelferinnen zurückgemeldet.
  2. Alltagshelferinnen und -helfer sollen zu „Assistenzkräften im nichtpädagogischen Bereich“ weiterqualifiziert werden.
  3. Durch das Assistenzkräfte-Programm bei der Stadt Gütersloh wurden bereits weitere Mitarbeitende gewonnen, die über keine oder nur geringe fachliche Qualifikation für die Arbeit in einer Kindertageseinrichtung verfügten. Ziel der befristeten Einstellung für ein Jahr war die Übernahme in eine Ausbildung oder sonstige weitere Qualifikation. Auch hier wurde von den Leitungen eine hohe Zufriedenheit mit den Assistenzkräften zurückgemeldet, und 5 Personen konnten zum Kindergartenjahr 2022/2023 mit einer Ausbildung bei der Stadt Gütersloh beginnen.
  4. Je nach Situation in der Kita wird auch fachfremdes Personal eingesetzt, z.B. zur Unterstützung bei bestimmten Angeboten, etwa Landschaftsgärtner für die naturästhetische Arbeit im Außenbereich.
  5. Aufstockung der Plätze für die praxisintegrierte Ausbildung zur Kinderpflegerin/zum Kinderpfleger. Diese ist zum Kindergartenjahr 2022/2023 erstmalig mit 5 Plätzen bei der Stadt Gütersloh gestartet.
  6. Im Notfall: Umverteilung von Personal auf andere Kindertageseinrichtungen zum Ausgleich von Vakanzen und zur Erhaltung des Betreuungsangebots (Vermeidung von Schließungen oder Reduzierung des Betreuungsumfangs).
  7. Kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit für die Erzieherausbildung und den Erzieherberuf; unterschiedliche Formate der niedrigschwelligen Ansprache und Information, Videos, Info-Veranstaltungen mit der Möglichkeit, individuelle Fragen zu klären, etc.